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Das BIP und Corona: Prognosen und reale Entwicklungen

Naturkatastrophen sind Ausnahmesituationen und können die Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung in Frage stellen. Auch Pandemien stellen Gesellschaften vor enorme Herausforderungen, nicht zuletzt auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die „Spanische Grippe“ führte zu massiven Ausfällen, und genauso kosten Corona Pandemie, Sars in Asien oder Ebola die Wirtschaft enorme Summen. Bisher liegen diverse Schätzungen vor, wie hoch die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 ausfallen.

Diverse Institute bemühen sich, die wirtschaftlichen Einbußen zu berechnen und vorherzusagen. Derweil sind die Impfungen zwar angelaufen, aber noch können sie die Ausbreitung des Virus nicht stoppen. Und so kosten Corona Pandemie wie auch andere Epidemien die Volkswirtschaften insgesamt etliche Milliarden. Vom ifo-Institut und vom Institut der deutschen Wirtschaft liegen inzwischen Zahlen und Prognosen vor. Allerdings handelt es sich bei der Bezifferung der Ausfälle um eine teilweise höchst komplexe Wirtschaftsarithmetik, und besonders vom ifo- Institut wurden in den letzten Wochen unterschiedliche Einschätzungen vorgelegt.

Milliarden-Kosten durch eingeschränkte Wirtschaftstätigkeit

So meldet das ZDF im März 2021, dass der Shutdown jede Woche zu gesamtgesellschaftlichen Einbußen von bis zu 2,5 Billiarden Euro führt. Allerdings zeigt sich auch, dass durchaus Gewinner auszumachen sind. Die Prognose des ifo—Instituts für Wirtschaftsforschung beziffert die Verluste wesentlich geringer als im Jahr zuvor erwartet. Der Leiter der Abteilung „Konjunkturforschung und -prognosen“, Timo Wollmershäuser, beziffert die wöchentlichen Einbußen bei der Wertschöpfung auf 2 bis 2,5 Billionen in der Woche.

Allerdings sind nicht alle Bereiche der Wirtschaft auf gleiche Weise betroffen. Der produzierende Sektor hat sich mittlerweile von den Einbrüchen aus der ersten Phase erholen können, und auch der Bau kommt laut Wollmershäuser gut durch den Shutdown. In einer Befragung des Instituts bewerten die Unternehmen ihre Geschäftslage in der Mehrheit positiv.

Nachteile für Einzelhandel und Gastronomie

Die Verlierer der reduzierten Aktivitäten sind all jene Unternehmen, die zur Zeit keinen Umsatz erzielen (dürfen) wie der Einzelhandel, die Gastronomie und körpernahe Dienstleistungen. Zwar subventioniert die Kurzarbeit zur Zeit die Lohnkosten, und Hilfszahlungen decken die Fixkosten zum Teil ab. Die Maßnahmen bewirken tatsächlich eine deutliche Entlastung der Betroffenen, dennoch sind sie kurzfristig die Verlierer der Pandemie.

Hingegen geht der Online-Handel nach Auffassung des ifo-Experten aus den Turbulenzen der letzten Monate klar als Sieger hervor. Durch die Ladenschließungen und Kontaktbeschränkungen können die Internet-Anbieter einen wahren Boom an Bestellungen vermelden. Besonders die etablierten Ladenketten profitierten vom neuen Käuferverhalten, wenn sie schon vor der Corona-Krise ihre Produkte auch online vermarkten konnten.

Das Internet als Alternative für den Handel

Viele kleine Einzelhändler sind allerdings von der Pleite bedroht. Ohne die Unterstützung durch einen leistungsstarken Konzern prägten sie zwar die Einkaufszonen der Städte und verliehen ihnen ein individuelles Flair. Ohne einen eigenen Internet-Auftritt war es ihnen aber in der Krise nicht möglich, die Ausfälle im stationären Handel zu kompensieren.

Insgesamt steht Wollmershäuser den Einkommensverlusten der Wirtschaft jedoch neutral gegenüber. Zwar sind kurzfristige Einbußen nicht zu bestreiten, aber trotz der historischen Dimensionen der Krise sind die Einkommen sogar gestiegen. Dass die Zugewinne nur wenig schwächer ausfielen als in den letzten Jahren, sei angesichts des Ausmaßes der Rezession bemerkenswert.

Prognose kassiert

Nur wenige Tage später jedoch musste das renommierte Institut angesichts der unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie seine Prognose für 2021 korrigieren. Verantwortlich sei die Orientierungslosigkeit der politischen Entscheider sowie das Impfchaos. Die Experten erwarten nun, dass von 2020 bis 2022 Einbußen in Höhe von insgesamt 405 Milliarden Euro auf die Wirtschaft zukommen.

Waren die Wissenschaftler im Dezember noch von einer Steigerung des BIP um 4,2 Prozent ausgegangen, mussten sie ihre Schätzungen nun auf ein Wachstum von lediglich 3,7 Prozent korrigieren. Und im nächsten Jahr sind nach ihren Prognosen nur 3,2 Prozent zu erwarten. Die Gesamtkosten von 405 Milliarden Euro ergeben sich aus einem Vergleich der aktuellen Konjunktureinschätzungen mit dem wirtschaftlichen Wachstum aus Vor-Corona-Zeiten.

Testen und Impfstrategien

Die Professoren Wollmershäuser und Peichl vom ifo-Institut begründen ihre Korrektur mit den Lockerungen, die von der Bundesregierung vorgenommen wurden. Allerdings sei der Vorteil durch die Erleichterungen nur kurzfristig und zudem ziemlich gering, ergänzt Andreas Peichl. Stattdessen empfehlen die Forscher flächendeckende Tests in Schulen und Unternehmen. Den Lockerungen bei steigenden Infektionszahlen stehen sie kritisch gegenüber wie auch den allzu großen Bedenken beim Thema Datenschutz. Die Nachverfolgung von Infizierten werde auf diese Weise stark behindert, was die wirtschaftliche Erholung weiter hemmt.

Auch der Präsident des Instituts, Prof. Dr. Clemens Fuest, hatte sich kürzlich zu Corona und den Folgen geäußert. Nach seiner Auffassung werde sich die Wirtschaft durch die zunehmenden Öffnungen nicht in ausreichendem Maß erholen. Vielmehr seien massenhaftes Testen und eine durchdachte Impfstrategie wesentliche Voraussetzungen für eine Rückkehr zur Normalität.

Einbußen durch globale Lieferketten

Auch andere oder Folgefaktoren der Krise beeinträchtigen die Wirtschaftsleistungen. Das ifo-Institut geht über die genannten Kosten hinaus von weiteren Belastungen aus. Denn als Folge der Pandemie funktionieren die weltweiten Lieferketten nicht wie bisher gewohnt, und Produktionsausfälle sind die Folge. Zudem setzt das kalte Wetter den Bauvorhaben der Bundesdeutschen zur Zeit enge Grenzen, so dass die Wirtschaftsleistungen um etwa 50 Milliarden Euro niedriger ausfallen wird.

Das Statistische Bundesamt schätzt, die Wirtschaftsaktivität werde während des ersten Quartals um 1,7 Prozent nachlassen. Allerdings ist eine derartige Prognose mit einer hohen Unsicherheit behaftet, wie Timo Wollmershäuser im April 2021 anmerkt. Denn das Amt unterstellt, dass die Wirtschaft im Durchschnitt um 1,25 Prozent jährlich gewachsen wäre, wenn die Corona-Krise nicht stattgefunden hätte. Für den Zeitraum von 3/2020 bis 3/2021 geht Wollmershäuser von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von etwa 240 Milliarden Euro aus.

Für das zweite Quartal erwartet der Wirtschaftswissenschaftler eine Erholung, wenn sich im Verlauf der folgenden Wochen weitere Impferfolge ergeben und Kontaktbeschränkungen nach und nach gelockert werden. Die Umsätze der kontaktintensiven Dienstleister sollten sich dann normalisieren, auch der Bau und der Industriesektor dürften wieder ihren gewohnten Beitrag leisten. Der Produktionsanstieg in weiten Teilen der Industrie wird sich jedoch in Grenzen halten. Denn in diesem April berichteten etliche Unternehmen von diversen Behinderungen der Produktion. Ihr Anteil stieg laut ifo auf immerhin fast 70 Prozent. Als Ursache nennt das Institut die Knappheit an Vorprodukten, und bei steigender Auslastung rückt auch der Mangel an Fachkräften wieder in den Fokus der Unternehmen.

Das IW zu den Folgen von Corona

Ebenfalls im März 2020 äußerte sich das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zu den bisher aufgelaufenen Verlusten. Seit dem ersten Lockdown ergeben sich nach seinen Berechnungen Einbußen von 250 Milliarden Euro. Bisher mussten 16 000 Betriebe Insolvenz anmelden, weitere 5 000 „Zombie-Unternehmen“ blieben ohne verlässliche Perspektive. Auch das IW nutzt eine Gegenüberstellung von Konjunkturverläufen für seine Einschätzung. Die Wissenschaftler vergleichen die reale Entwicklung mit einem angenommenen Konjunkturverlauf ohne Corona.

Der Direktor des Instituts, Michael Häther, bezeichnet die Krise als einen „Schock für die deutsche Wirtschaft, der seinesgleichen sucht“. Allerdings haben die Hilfspakete sowie das Kurzarbeitergeld Schlimmeres verhindert, und ohne diese Unterstützungen wären weitaus mehr Unternehmen betroffen. Auch Häther setzt auf eine Erhöhung der Impfgeschwindigkeit, um die Planungssicherheit der Betriebe zu verbessern.

BIP-Einbußen in Abhängigkeit von der Corona-Entwicklung

Nach den Berechnungen des Instituts reduzierte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um 20 Milliarden Euro, ein vergleichsweise leichter Rückgang. Für das zweite Quartal aber hatte man eine Wirtschaftsleistung von etwa 850 Milliarden erwartet, tatsächlich mussten die Experten 100 Milliarden Euro weniger vermerken. Das dritte Quartal brachte – besonders während der Sommermonate – eine deutliche Entspannung. Die Lücke zwischen Prognosen und realer Entwicklung schloss sich jedoch nie ganz. Der erneute Lockdown zum Jahresende 2020 führte wieder zu größeren Wohlfahrtsverlusten. Für das erste Quartal 2021 geht das IW davon aus, dass die Pandemie Kosten von etwa 50 Milliarden Euro verursacht.

Szenarien im April 2020

Die besonderen Schwierigkeiten der Generierung von Prognosen zeigen sich beim Vergleich der tatsächlichen Entwicklung mit einer Szenarien-Rechnung, die das ifo-Institut bereits zu Beginn der Pandemie erstellte. Damals ging man noch davon aus, dass schon ein Shutdown mit einer Dauer von nur zwei Monaten mindestens 255 Euro an Kosten verursachen würde, aber sogar Einbußen bis zu 495 Milliarden könnten die Folge sein. Grundlage der Prognosen war ein angenommener Rückgang des BIP von 7,2 bis 11,2 Prozent. Nach dreimonatigen Einschränkungen gehen die Forscher bei einem Wachstumsverlust zwischen 10 und 20,6 Prozent von Einbußen von 354 bis zu 729 Milliarden Euro aus.

Zwar lagen die Minimalschätzungen damals in etwa im Bereich der heute festgestellten Zahlen. Besonders am oberen Rand der Prognose zeigt sich jedoch die Problematik der Schätzungen, denn eine Abweichung von 100 Prozent vom realen Verlauf zeigt doch die Fragwürdigkeit derartiger Voraussagen, die von einer seriösen Beschreibung der Zustände oft weit entfernt sind. Allerdings können unvorhergesehene Parameter des Umgangs mit der Krise nie in die Prognose eingehen. Die Diskussionen um Lockdown und Lockerungen, Impfstrategien, Verfügbarkeit und andere Einflüsse sind immer erst im Nachhinein in ihrem tatsächlichen Ausmaß erkennbar. So kann es sich auch bei den aktuellen Prognosen – egal ob von IW oder ifo – jeweils nur um eine grobe Orientierung handeln. Die wahren Kosten der Pandemie sind wohl erst überschaubar, wenn die Wirtschaft wieder ohne jede Einschränkung funktionieren kann.